Bei strahlendem Sonnenschein und entspannter Lounge-Musik der Projektband "Nix druff" schienen die Nöte wohnungsloser Menschen am Mittwochmittag in der Limburger Fußgängerzone erstmal ganz weit weg zu sein. Das änderte sich schlagartig, als das Team des Walter-Adlhoch-Hauses, eine Einrichtung des Bezirkscaritasverbandes für Wohnungslose , Holzfiguren aus den Kisten holten - und zwar für jeden obdachlosen Menschen im Landkreis Limburg-Weilburg eine. Grüne, gelbe, große und kleine Figuren symbolisierten Männer, Frauen und Kinder, die schwarzen die Dunkelziffer. Die Figuren wurden auf einem großen Tisch aufgestellt, auf dem die Umrisse des Landkreises gezeichnet waren. Als sich die 120 Silhouetten schließlich dicht an dicht drängten, waren Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot auf einmal sicht- und greifbar.
Den zahlreichen Passanten, die neugierig die Holzfiguren betrachteten, erklärte Harry Fenzl, Sachbereichsleiter Wohnungslosenhilfe im Bezirkscaritasverband: "Obdachlosigkeit entsteht in der Fläche und kann am wirksamsten auch in der Fläche bekämpft werden. Dies betrifft die Gemeinden im Landkreis genauso, wie die an den Landkreis Limburg-Weilburg grenzenden rheinland-pfälzischen Landkreise Rhein-Lahn und Westerwald." Er wünscht sich für den Landkreis eine flächendeckende Datenerhebung über Umfang und Struktur der Wohnungsnot in der Region sowie die Entwicklung eines Präventionskonzeptes.
"Eine Bank ist kein Zuhause"
Apropos Landkreis: Seine Städte und Gemeinden standen im Fokus der nächsten Attraktion des Aktionstages. Das Glücksrad hat Elbtal und Runkel eine Holzbank mit dem Schriftzug "Eine Bank ist kein Zuhause" zugelost. Die Bank haben ehemals Wohnungslose in der Holzwerkstatt des Walter-Adlhoch-Hauses gefertigt. Die Übergabe an die Gemeinden will Harry Fenzl nutzen, um mit den Bürgermeistern ins Gespräch kommen und konkrete Hilfen für wohnungslose Menschen in der Kommune zu erarbeiten. "Die Bank ist eine Mahnung, dass die Gemeinden Teil einer Verantwortungsgemeinschaft sind", so Fenzl.
Hessen ist Schlusslicht bei der Wohnraumversorgung
Weder die Kommunen, noch die Wohlfahrt können das Wohnungsproblem alleine lösen. Ende 2017 fehlten in Hessen circa 80.000 Wohnungen, bis 2035 werden es voraussichtlich 400.000 sein. In den kommenden Jahren müssen pro Jahr 35.000 Wohnungen gebaut werden, um den Wohnungsbedarf zu decken - davon mindestens ein Drittel Sozialwohnungen, so hat es das Forschungsinstitut Pestel ermittelt. In Rheinland-Pfalz sieht es nicht viel besser aus. Bis 2025 fehlen rund 185.000 Wohnungen laut einer Studie der TU Darmstadt.
"In Hessen fehlen so viele Wohnungen wie in keinem anderen deutschen Flächenland. Hessen ist damit bei der Wohnraumversorgung Schlusslicht. Insbesondere Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist der elementaren Zugang zu Wohnraum verwehrt. Die Gefahr ist soziale Ausgrenzung", erläuterte Stefan Baudach, Referent für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik im Diözesancaritasverband.
Wohnen ist ein Grundrecht
Stellwände mit Quellen aus dem Stadtarchiv Limburg belegten den Wandel im Umgang mit Wohnungslosen. Die Zeiten "vertreibender Hilfe" sind glücklicherweise vorbei. Doch das Wohnungsproblem ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. "Dauerhafte Ausgrenzung von einem elementaren Bedürfnis ist zutiefst unmenschlich und unchristlich. Ausgrenzung beschädigt den sozialen Frieden in unserem Land auf das Gröbste. Sie spaltet und verhindert den dringend notwendigen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft", warnt Fenzl.
Deshalb ist eine gestaltende Wohnungspolitik nötig, die die einkommensschwachen Bürger*innen und Familien stärker berücksichtigt. Wohnungspolitik muss Sozialpolitik sein. Hierzu braucht es den Schulterschluss von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dann könnte auch Fenzls Wunsch einer Kommunalen Arbeitsgemeinschaft (KAG) "Soziale Wohn- & Obdachlosenhilfe" unter der Führung des Landkreises, besetzt mit Vertretern der Städte und Gemeinden, der Amtsgerichte, dem Kreissozialamt, dem Jobcenter, der freien Wohlfahrt usw. wahr werden. (jk)